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THEMEN
 

Schreiben für das Kinder- und Jugendtheater

 


Stücke für das Jugendtheater
von Henning Fangauf, Frankfurt am Main
 
 
 
 
Was Kindertheater ist, läßt sich leicht definieren. Aber Jugendtheater? Unterscheidet es sich in seiner Ästhetik und Dramaturgie oder durch seine Themen vom Theater für das erwachsene Publikum? Eine Vielzahl von Stücken, die teils eigens für das Jugendtheater geschrieben wurden, sprechen für diese These.
 
 
 
 
Als das moderne Kindertheater Mitte der 70er Jahre sich von seinem jüngsten Publikum emanzipierte und den jugendlichen Zuschauern zuwendete, stellte sich zwangsläufig die Frage, wie das Thema 'Jugend' auf der Bühne darzustellen sei. Die Inhalte waren damals weniger umstritten, denn einmütig ließ sich das aktuelle Lebensgefühl der Jugendlichen bündeln: politische Opposition, Mißtrauen gegenüber dem Establishment, sexuelle Revolution, Revolte, Rock und Beat darum ging es in den siebziger Jahren, darauf wollte man mit dem Theater eingehen. Als das Grips-Theater 1975 in Berlin sein erstes Jugendstück 'Das hältste ja im Kopf nicht aus' herausbrachte, wurde das Selbstverständnis vom Regisseur der Uraufführung, Wolfgang Kolneder, klar formuliert: "Da die Personen des Stückes nicht 'erfunden', sondern ausgewählt typische Schüler, Eltern, Erzieher undsoweiter sind, war es sowohl für die Autoren wie für die Darsteller selbstverständlich, ihre Vorbilder kennenzulernen und zu studieren: Sprache, Bewegungen, Gewohnheiten, Kleidung. Auf Schulhöfen, in Heimen und Diskotheken beobachteten wir..." Auch die Rote Grütze, maßgeblicher Wegbereiter des emanzipatorischen, für ein junges Publikum bestimmtes Theater, berief sich immer wieder auf Brecht: "Das erste, was ihr zu lernen habt, ist die Kunst der Beobachtung. Du, der Schauspieler, mußt vor allen anderen Künsten die Kunst der Beobachtung beherrschen". Seine Theorie über den Unterschied von Naturalismus und Realismus beherrschte in den 70er Jahren die Debatte über das Jugendstück. Die Gesellschaft wurde geschichtlich betrachtet, Kausalität in der Entwicklung gesehen, soziale Spannungen, Kritik und Stilisierungen waren die Schlagworte, die den Inszenierungen zugrunde lagen. Rolle und Figur gingen eine enge Symbiose ein. Fast zwanzig Jahre nach seiner Uraufführung findet sich der Rote Grütze-Erfolg 'Was heißt hier Liebe?' ungebrochen auf den Spielplänen. Nicht minder wichtig im zeitgenössischen Repertoire sind auch die Jugendstücke von Volker Ludwig. Die Theatralik gewannen die Macher aus der Musik, jenen zeitgemäßen Rockklängen, und einem Inszenierungsstil, der sich einem mitreißenden Spieltempo verpflichtet sah und auf großen körperlichen Einsatz setzte.
 
Wie sehr die Mixtur dieser Theaterstücke sowohl das Interesse der Künstler als auch des Publikums traf, zeigt sich bis heute. 'Klassen Feind' von Nigel Williams, 'das' Jugendstück der 80er Jahre schlechthin, war in dieser Beziehung unschlagbar. 1981 erstmals in Deutschland von Peter Stein, der ja auch Bonds 'Gerettet' in München 1967 zur deutschen Erstaufführung brachte, an der Berliner Schaubühne inszeniert, hinterließen Stück und Aufführung den Beigeschmack, in einen choreographisch organisierten Naturalismus verfallen zu sein. "Das ist Broadway, nicht Kreuzberg", schrieb damals die Fachzeitschrift 'Theater heute'. Vom kritischen Geist Brechts war wenig übrig geblieben, statt dessen Jargon, Atmosphäre, Entertainment und Milieu. Damit hatte man sich weit entfernt von den Vorläufern des Jugendstückes, jenen, dem Expressionismus verpflichteten Stücken von Arnolt Bronnen, Peter Lampel oder Ferdinand Bruckner aus den 20er Jahren. Die Stücke 'Vatermord', 'Revolte im Erziehungsheim' oder 'Krankheit der Jugend' debattierten seinerzeit aktuelle Fragen nach den Grenzen der Pädagogik, nach den erotischen Bedürfnissen der Jugendlichen oder den Lebensbedürfnissen der heranwachsenden Generation nach dem Ersten Weltkrieg. Frank Wedekinds kunstvoll gebautes 'Frühlings Erwachen' aus dem Jahre 1906, ein Klassiker des Jugendtheaters? - Das Jugendtheater der 90er Jahre reagiert - wie könnte es anders sein - mit großer Vielfalt: zum einen mit der Aufnahme spezieller Klassiker in die Spielpläne wie Büchners 'Leonce und Lena', Bruckners 'Krankheit der Jugend' oder Frischs 'Andorra', ferner mit Entdeckungen schwedischer, russischer oder englischer Jugendstücke, die in ihren Ländern teilweise vor mehr als zehn Jahren uraufgeführt worden waren und schließlich auch durch die Beschäftigung mit den aktuellen Stücken der deutschsprachigen Autoren.
 
Wenig fruchtbar erscheint der momentane Streit um die pure Definition. Kann es überhaupt ein spezifisches Theater für Jugendliche geben? Die einen verneinen und argumentieren "Theater kann nur Theater sein", die anderen wollen das Jugendtheater von seinem Image befreien, nämlich das ewig junge, kritisch bewegte Problemtheater zu sein, das ständig sein Publikum und dessen Gefühle imitiert. Es hat den Anschein, daß das sich inzwischen bei den Theatermachern durchgesetzte Postulat 'Kunst für Kinder' nun auch für die jugendlichen Zuschauer gelten soll. Anstelle der gesellschaftspolitischen Klarheit der 70er Jahre, Lösungen anbieten zu wollen, entstehen nun auch im Jugendtheater immer mehr jene Form, die mit Rätseln und Chiffren umgeht. Dabei darf, fragt man nach den Inhalten der Stücke, der Aspekt 'Jugend' nicht überstrapaziert werden. Denn warum werden von den Autoren Themen, Fragestellungen und Lösungsversuche erwartet, die primär nicht Sache der Jugendlichen sind. Es kann nicht Sache des Jugendtheaters sein, die politischen Fragen zu formulieren, die auf den Bühnen für Erwachsene niemand mehr stellt. Die Neonazis sind nicht in erster Linie ein Thema für Jugendliche, sondern auch eins für uns Erwachsene, die wir diese Gesellschaft zu verantworten haben.
 
Der Begriff 'Jugendtheater' ist heute wesentlich vielfältiger zu interpretieren als vor zwanzig bis dreißig Jahren. Die in den achtziger Jahren begonnene Diskussion um die Weiterentwicklung des Jugendstücks forderte mehr künstlerische Phantasie, Themenvielfalt und eine poetischere Sprache. So problematisch eine eindeutige Definition des Begriffes heute ist, so unwidersprochen lebt das Jugendtheater. In den Stadt- und Staatstheatern, im Darstellenden Spiel der Schulen und im Amateurtheater. Es definiert sich aus den Interessen der Jugendlichen, ist also ein Zielgruppentheater und somit auch klar faßbar.
 
 
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