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THEMEN
 

Jugendtheater und Jugendkultur

 


Was ist Jugendtheater im Kontext aktueller Jugendkultur?
von Christel Hoffmann, Frankfurt am Main
 
 
 
 
Mit den Zusagen von Universitäten und Hochschulen, sich mit Studenten an einer neuen Form des Studentenforums während unseres 6. Deutschen Kinder- und Jugendtheater Treffens zu beteiligen, wurde auch die Bitte an uns herangetragen, die Problematik "Was ist Jugendtheater im Kontext aktueller Jugendkultur?" zu umreißen, was wir hiermit versucht haben. Wir hoffen, daß wir damit zum wissenschaftlich-praktischen Disput anregen, sei es, sich mit dem sogenannten jungen etablierten Theater oder sich mit dem speziellen Theater für oder mit Jugendlichen auseinanderzusetzen mit dem Ziel, die erarbeiteten Standpunkte während des Treffens anhand der gezeigten Aufführungen im Studentenforum zu diskutieren.
 
 
 
 
Das Theater ist eine alte Kunst, aber es besitzt in der Gesellschaft kein Dauerabonnement auf Lebenszeit. Da diese Kunst nur in der Kommunikation mit seinem "vierten Schöpfer" (Meyerhold), dem Publikum, zum Blühen kommt, muß es seine gesellschaftliche Reputation und Präsenz immer wieder neu suchen und finden.
Aber auch das sich erneuernde Publikum bestimmt sein Verhältnis zum Theater immer wieder neu. Jede Generation erbt die tradierten Formen der Darstellenden Kunst und muß sich mit dem Vorgefundenen auseinandersetzen. Dieses Muß ergibt sich aus dem zwingenden Grund, daß die Fähigkeit zu spielen eine natürliche Anlage des Menschen ist, die er braucht, um zum Zwecke der Selbsterkenntnis ein Bild von sich machen zu können. Das legitimiert die massenhafte Verbreitung der Darstellenden Kunst in unserer Zeit in den unterschiedlichsten Formen und Medien bei gleichzeitiger Abnahme des bisher üblichen Abonnentenpublikums und des Stellenwertes, ein Mittelpunkt des geselligen Lebens in einer Sozietät zu sein.
Wie in anderen Lebensbereichen auch, ist am Theater der Glaube an die Reformkraft der Jugend sehr groß. Und wenn man ihr die Probe-Zeit einräumt, werden die Talentiertesten im Alter um die 30 die Ausdruckskraft gewonnen haben, um ihre neuen An- und Einsichten in einer eigenen ästhetischen Sprache zu formulieren, so daß sie als junges Theater wahrgenommen und von gleichaltrigen und vielleicht auch jüngeren Zuschauern als Manifest der eigenen Befindlichkeit angenommen werden. Aus der Perspektive der älteren Erwachsenen werden diese Aufführungen mit gemischten Gefühlen beäugt, denn sie schwanken zwischen Noch-beteiligt- und Schon-an-das-Hergebrachte-gebunden-sein.
Aber wie steht es um die jungen Leute, die man bis vor kurzem "das Publikum von morgen" nannte? Wenn sie mit dem Theater in Berührung kommen, dann geschieht es zuerst über die Schule, sei es, daß sie selbst Theater spielen - das ist dann Schülertheater, oder, daß sie mit der Klasse eine Aufführung im Theater - gewöhnlich anstelle des Unterrichts früh um 10:00 Uhr - besuchen.
Spätestens an dieser Stelle kommt das sogenannte Kinder- und Jugendtheater ins Spiel. Es ist in seinem Zuschauerspektrum im Wesentlichen an die Schulzeit gebunden, manchmal ein bißchen früher beginnend, manchmal, z. B. im Theaterjugendclub, ein bißchen später endend.
Dennoch wehrt sich dieses Theater vehement dagegen, auch eine Einrichtung der Pädagogik zu sein. Es erhebt den Anspruch, Probleme und Konflikte in einer jugendgemäßen ästhetischen Form zur Sprache zu bringen. Dabei sollte, so die verbreitete Praxis, um die Authentizität der realitätsnahen Geschichten und Figuren nicht zu verstellen, möglichst wenig Kunst vorkommen, sondern der kulturelle Ausdruck der jeweiligen Generation Eingang in die Spielweise finden, denn selten sind gleichaltrige Darsteller auf der Bühne dieser Theater zu sehen.
Damit ist das Dilemma dieses Theatertyps beschrieben: Der Erwachsene eignet sich Aspekte dieser Kultur, z. B. in jüngster Zeit Hip-Hop an, um als erwachsener Anwalt den Jugendlichen ihre eigenen Bedürfnisse zu vergegenwärtigen und als Anspruch an die Gesellschaft zu artikulieren. Daß den jungen Menschen dafür ein öffentlicher Raum geschaffen wird, ist nicht hoch genug zu veranschlagen. Vielleicht zählt das mehr, als eine Orientierung auf Bildungsinhalte, die zunehmend zu beobachten ist. Ohne der Beliebigkeit das Wort zu reden: natürlich lernen Jugendliche auch im Theater. Sie erfahren über die dargestellten Menschen und deren Beziehungen mehr über die Kultur des Zusammenlebens und entwickeln im Selbstbezug anhand dieser Modelle so oder so eigenes Verhalten.
Wobei der Gruppenbesuch unter Lehreraufsicht der Intensität des Erlebens hinderlich ist, weil dieses Erlebnis gemäß dem Wirkungsgesetz dieser Kunstgattung eine individuelle Angelegenheit ist, über die man sich normalerweise eventuell erst im Nachhinein austauschen kann. Das ist kein Widerspruch zu dem kollektiven Genuß einer Theateraufführung, der sich zugleich mitteilt. Das Theater für Kinder und das Theater für Jugendliche ist durch das "Für" von den eigenen kulturellen Äußerungsformen der Kinder und Jugendlichen getrennt, es kann sich nur durch seine eigene Sprache äußern, nämlich der des Spiels, aus dem, während es geschieht, die Gesichtspunkte der Pädagogik ausgeschlossen sind. Dennoch bewegt es sich zwischen den Polen Kunst und Pädagogik, mehr der einen oder der anderen Seite zugeneigt, je nach dem Standpunkt und den Intentionen seiner Macher.
Bleibt die Frage: Ist das Theater, in dem die Jugendlichen selbst die Akteure sind, das eigentliche junge Theater, denn zunehmend setzt sich die Anschauung durch, daß diese Aufführungen eine eigene Ästhetik besitzen, die sich von anderen Theaterformen, auch des Amateurtheaters, unterscheidet. Sie erwächst aus dem Prozeß der Erarbeitung dieser Inszenierungen und drückt in den Spitzenleistungen dieses Theaters das Lebensgefühl der Spieler aus. Selbstvergewisserung und ungezügelte Empfindsamkeit erscheinen durch den künstlerischen Gestaltungswillen diszipliniert auf der Bühne - allerdings unter pädagogischer Anleitung.
 
 
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