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EREIGNISSE
 

Augenblick mal !
6. Deutsches Kinder- und Jugendtheater-Treffen
vom 5. bis 10. Mai 2001 in Berlin
 
Inszenierungen

 


Puppentheater Meiningen
 


Der standhafte Zinnsoldat
 


The brave Tin Soldier
 


nach Hans Christian Andersen
 


Regie: Tobias J. Lehmann
 


Darsteller: Stefan Wey, Melanie Marschall, Sven Huerdler
 


Thomas Klemm
 


Bühne: Ingo Mewes
 


Kostüme: Ira Hausmann
 


Sprache: deutsch u. englisch
 


ab 6 Jahre
 


Dauer: 50 Minuten
 


Rechte: henschel Schauspiel Theaterverlag Berlin
 



Votum:
Der Dichter Hans Christian Andersen ist der Strapazen und Höhenflüge des Lebens überdrüssig. Er möchte nur noch schlafen. Und träumen. Also lädt er alle Freunde unter seine Bettdecke ein, mit ihm die schrecklich schöne Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten zu erleben. Seine Freunde, das sind wir, das Publikum. Eine grandiose Verwandlung der Bühne vollzieht sich: vom kargen Theaterraum in ein behagliches Nest. Darin eröffnet sich der zugleich ironisch distanzierte wie auch wehmütige Blick Andersens auf seinen Zinnsoldaten. Eigentlich ist er eine kleine metallene Figur ohne Leben. Als Spielzeug hergestellt wird sie hervorgekramt, um mit ihr zu spielen, wenn einem danach ist, wenn man genug hat, wird sie in die Ecke geworfen. Dieser Zinnsoldat aber kann sehen. Und denken. Und fühlen. Und er steht aussortiert auf einem Möbel, weil er mit nur einem Bein unvollkommen ist. Er sieht die papierne Tänzerin und verliebt sich in sie. Denn sie, die wie er auf nur einem Bein steht, ist wohl genau die Frau für ihn. Doch er kann sich nicht rühren, nicht zu ihr gehen, er ist ja ein Zinnsoldat, eine Figur. Was nun, wenn er ein Mensch wäre? Würde er sich da wohl der Frau seines Herzens offenbaren, egal was sie ihm antwortete? Die Inszenierung zaubert ein Eigenleben der Figuren, kredenzt das Fieber der Liebe, wird zu einem Parcourritt im Spagat aller Hoffnungen und Wünsche durch Unwetter, Tiefsee und Gosse, jagt durch die Unbilden der Leidenschaften und läßt uns die Unmöglichkeit, das Gesehnte zu leben, schmerzlich spüren. Stefan Wey wechselt als Spieler ständig die Ebenen. Gerade noch Andersen selbst, kann er im nächsten Moment das Auftauchen seiner Traumtänzerin kaum fassen, um dann wiederum die bewegtesten und bewegendsten Bilder hervorzuzaubern. Und die Inszenierung besticht durch ihre theatrale Umsetzung. Ein Theater der Dinge paart sich mit einem Theater der Projektionen, erzählendes Theater treibt den Zuschauer immer tiefer in die Geschichte, ins Erleben selbst, in Augenblicke voller Poesie. Während wir die Objekte auf dem Tisch als museale Einrichtung mit distanziertem Blick betrachten und als grob gearbeitete Materialien einschätzen, beginnt dieses Museum als Schatten auf der Projektionswand zu leben und zu tanzen. Auf einmal ist es, als ob sich ein Schleier gelüftet hat, und wir schauen auf eine filigrane Handarbeit, bewundern das kleinste Detail. Doch lange können wir diese Wunder nicht bestaunen, denn die Projektion macht, daß wir uns die Geschichte des Zinnsoldaten nicht bloß ansehen. Wir sitzen mittendrin in diesem zinnernen Leben. Wir teilen die Qualen, die Leiden, die Abenteuer, die stumme Wiedersehensfreude mit der Tänzerin und den Verlust dieser Liebe. Der glücklichste und der schmerzlichste Augenblick in einer Sekunde. Jeden Moment erleben wir in seinem Höhepunkt. Für uns ist es ein Wechselbad, das uns weiter und weiter trägt. Wie ein Ritt durch den Rausch der Himmel und der Höllen. Mit dem Schauer spielend, der Sehnsucht und unseren Träumen.

Karola Marsch
 



Setting afire the fever of love, the production magically breathes life into the figures, becoming, in the end, an obstacle course spanning the breadth of all human hopes and desires, braving storms, the deep sea, the gutter. We are chased through it, flung into the rigours of unnamed passions, dashed upon the rocks of impossibility, forced to seethe with the pain of unfulfilled longing. The actor, Stefan Wey, is forever shifting levels. At once the author Andersen himself, then the soldier still stunned at the appearance of his dream dancer, now a conjurer of moving images - "moving" in all senses.
The piece is so theatrical, it's disarming. The theatre of objects coupled with the theatre of projections, while storytelling theatre lures the audience ever deeper into the tale, until we are experiencing it ourselves, breath by breath, each moment brimming with poetry. We observe the scattered objects on the table from a distance, like exhibits in a museum, sizing them up as roughly hewn materials - while their shadows on the projection screen begin to take on a life of their own. Suddenly, as if a veil has been lifted, we discover craftwork of utmost precision, admire the astounding attention to detail. But we are not allowed to admire this wonder for long. The projection prohibits us from simply watching. We are transported into the heart of the tin soldier's inner world. We share the torment, the suffering, the adventure, the wordless, unspeakable joy of seeing the beloved dancer again ... and then, the loss of love. The happiest and most painful moment share the time span of a single second. We experience every moment at its climax. A never-ending back and forth. We are propelled forwards on a roller coaster ride though the ecstasies of all imaginable heavens and hells. An all too realistic play on our fears, desires and dreams.

Karola Marsch
 



Zum Stück:
Wie so viele Märchen von Hans Christian Andersen ist auch "der standhafte Zinnsoldat" ein Märchen über einen Außenseiter.
Das Zinn eines Löffels hat beim Gießen nur für 24 gleiche Kameraden gereicht - dem 25. fehlt ein Bein. Obwohl er genauso standhaft auf einem Bein stehen kann wie die anderen, ist ihm aufgrund seiner makelhaftigen Unperfektheit ein anderes Schicksal beschieden, ein anderer Lebensweg bestimmt. Zuerst wird er aus der Schachtel, in der die übrigen 24 Zinnsoldaten liegen, entfernt. Draußen sieht er eine Tänzerin, die auf einem Bein steht, weil sie tanzt und er verliebt sich in sie. Sie sieht ihn an und er sie. Vielleicht ist auch er der erste, der sie überhaupt bemerkt, weil er aufgrund seines Handicaps eine andere Wahrnehmung hat, deutlicher sehen, hören, fühlen und träumen kann. Aber um nicht durch seine Fehler bei ihr und den anderen aufzufallen, gibt er sich soldatisch, tapfer, ehrenhaft - bleibt er standhaft. Standhaftigkeit heißt seine Überlebensdevise, um die Verletzungen, die von außen kommen, psychisch und physisch durchzustehen.
Er hätte als einziger von allen die Chance gehabt auszubrechen aus der Reihe, der Norm, der Gewalt, dessen, was es heißt, ein Zinnsoldat zu sein, weil er eigentlich keiner war. Sein Körper, sein Mangel, sein Ehrgeiz, den Mangel mit doppelt soldatischer Würde auszugleichen, kostet ihn so viel Zeit, daß er ein Leben lang die geliebte Tänzerin vermissen muß.
"Der standhafte Zinnsoldat" ist eine Geschichte über Herz und Verstand, über Sein und Schein und eine wunderschöne Metapher über das Anderssein, die Unfähigkeit auszubrechen und physisch und psychisch "nicht aus dem Gleichgewicht kommen wollen".
Die Inszenierung erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. auf den Festivals "Traumspiele 2000" und "Synergura 2000".
 



So many tales by Hans Christian Andersen are about outsiders; "The brave Tin Soldier" is no exception.
A spoon is melted, providing enough tin for 24 uniform soldiers – but number 25 is missing a leg. Although he can stand just as steady on his one leg as the others on their two, his imperfection defines his fate. His path in life will be a different one from his comrades.
Right from the start he is removed from the box where the other 24 tin soldiers are kept. Outside, he catches sight of a ballerina in the middle of a dance – standing on one leg. He falls in love with her. Has anyone ever really seen her? Before him? Having a handicap means the tin soldier's perception of the world is different, like hers must be, everything is seen, heard, felt and imagined more clearly, more intensely. So our tin soldier imagines the worst of all things: if, due to his imperfection, he appears a lesser soldier. He overcompensates, placing all his energies into appearing valiant, honourable – steadfast. His heightened awareness of the outside world and the pain it could inflict on him, both physically and mentally, drives him to adopt an exaggerated defence mechanism. Steadfastness at all costs. This is the best way he knows how to protect himself.
Unfortunately. For of all the soldiers, he alone was in the best position to step out of the role, break with the norm, challenge the violence so inherently connected with the identity of a soldier, which he never really was in the first place. Yet he invests so much time in making up for his physical imperfection, he ends up missing out on the ballerina. His ambition to embody double the dignity of a "normal" soldier robs him of the chance to experience love.
"The brave Tin Soldier" is a story about the heart and mind, about essence and appearance. A wonderful metaphor about being different and the inner block that keeps one from truly break out, for fear of "losing one's balance", both physically and mentally.
 





Foto: © Sabine Gudath
 
 
 
 
Medienecho:
 
 
 
Freies Wort Meiningen
 
 
 
Synergura bulletin, Erfurt
 
 
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