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EREIGNISSE
 

Augenblick mal !
6. Deutsches Kinder- und Jugendtheater-Treffen
vom 5. bis 10. Mai 2001 in Berlin
 
Inszenierungen

 


LTT Tübingen
 


Sag doch was!
 


Say Something!
 


Autor: Anders Ramberg
 


Übersetzung aus dem Dänischen von Volker Quandt
 


Regie: Jochen Fölster
 


Darsteller: Ester Daniel, Werner Koller, Farida Shehada
 


Dramaturgie: Monika Hunze
 


Ausstattung: Cornelia Brey
 


Musik: Thomas Maos
 


Musikalische Begleitung: Thomas Maos
 


Sprache: deutsch
 


ab 11 Jahre
 


Dauer: 65 Minuten
 


Rechte: Harlekin Theaterverlag, Tübingen
 



Votum:
"Groß, fett, krank und stumm" kommt ihr der Opa vor, das ekelt sie an, das sagt sie ihm auch, die 15 Jahre alte Enkelin Sarah. Unbeholfen steht er da in Bademantel, Filzpantoffeln und dicker Brille, ein grauhaariger, dünner Pferdeschwanz baumelt auf den Rücken. Opa Thomas, 60 Jahre alt, ist nach einer Gehirnblutung ein Pflegefall, halbseitig gelähmt, das Sprachzentrum ist zerstört. Seine Frau Martha pflegt ihren Thomas, der trotz Behinderung klar bei Verstand ist, aufopfernd und bis zur Selbstaufgabe
Endlich und trotz schlechten Gewissens rafft die Oma sich auf, nur zwei Stunden raus an diesem Abend, nach langer Zeit mal wieder, denn Sarah ist zu Besuch, und sie soll aufpassen auf den Opa. Schwer macht er es seiner Frau, das Haus zu verlassen, mit Tränen der Erpressung, der Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Und der Liebe. Für ihn ist die ergraute Martha immer noch eine attraktive Frau, auf projizierten Photos sehen wir, daß er fürchtet, schon an der nächsten Bushaltestelle könnte ein Don Juan sie ins nächste Hotelbett verführen
Derweil gibt sich Sarah nicht zufrieden mit Opas tyrannischer Hilflosigkeit, die sie ihrerseits hilflos werden läßt, sie fordert ihn heraus, stellt Fragen, provoziert ihn zu reagieren, sich seinen Möglichkeiten entsprechend zu äußern. Plötzlich entdeckt Sarah die Vergangenheit des "Alten" als Rockmusiker, Demonstrant gegen den Vietnam-Krieg, als Kommunarde und Hippie. Da kriegt der Opa Profil und Vergangenheit für sie, ist mehr als nur ein behindertes Ekel, das die geliebte Oma nicht ihr Leben leben läßt. Und ein kurzes Erschrecken beim nicht mehr ganz so taufrischen Besucher: Auch Rock'n'Roller werden alt, sind schon alt, schon pflegebedürftige, tattrige, alte Opas ...
Der Tübinger Rockmusiker Thomas Maos verleiht mit seinen Gitarrenriffs dem Großvater seine Stimme, setzt die jeweilige Stimmung in Musik um, liefert den Soundtrack. Die Gitarre knirscht, wenn die Situation knirscht, zur beginnenden Gesprächsbereitschaft tasten und äugen die Töne sich neugierig hervor. Und Opa spielt auf seiner alten "Fender" wie weiland Jimi Hendrix mit der Zunge die irrsten Soli.
An irgendeiner Stelle macht der inkontinente alte Mann seine Hose naß, angewidert, zornig und unbeholfen zieht ihm die Enkeltochter die stinkenden Kleider aus. Völlig nackt, hilflos, elend steht Werner Koller da, verletzlich und zerbrechlich, gänzlich angewiesen auf seine Enkelin Sarah ist der Opa. Minutenlang steht er so da (oder kam es mir nur so unendlich lange vor), vollgepisst, vollgesabbert, ein zerrütteter Menschenkörper zum Erbarmen, eine ergreifende, bewegende Szene, keinen Moment peinlich, kein pubertierender Besucher ruft eine Zote, so sehr berührend und zart haben Regisseur Jochen Fölster und sein Schauspieler diese Szene angerichtet, ein seltener darstellerischer Höhepunkt im Kinder- und Jugendtheater. Hervorragend auch das junge, neue Ensemblemitglied Farida Shehada, die quirlige, lebensfrohe, vitale und mit gesundem Egoismus ausgestattete Enkelin, von keinen Berührungsängsten oder falscher Rücksichtsnahme geplagt. Auch nachdem sich Opa und Enkelin kennen und, ja, auch ein wenig lieben gelernt haben, bleibt sie dabei: "Opa, Du mußt ins Pflegeheim"; da nickt der Alte, denn er weiß, daß Sarah recht hat. Und daß er dennoch nicht fürchten muß, Martha und Sarah zu verlieren
Keine "große" Geschichte, die hier als Deutsche Erstaufführung erzählt wird und doch eine, die an manchem Tabu rührt, im Kindertheater allemal
Tristan Berger
 



... feeling herself helpless in the situation, Sarah counters her grandfather's tyranny of helplessness. She demands a response, drills him with questions, provokes him to express himself with whatever means he can muster. Then Sarah stumbles upon the old man's past: as a rock musician and a hippie, demonstrating against the war in Vietnam, living in a commune. A new image of her grandpa begins to take shape, no longer just the handicapped burden who cramps her grandmother's lifestyle. A small shock for our no longer so sprightly audience members: even rock'n'rollers get old, are already aged, in need of care, doddering old grandpas ...
The Tübingen rock musician Thomas Maos gives this grandfather a voice - with guitar riffs. He interprets each mood into music, lays down the soundtrack. His guitar clashes when the performers clash. When they are warming up to each other, the tones prod and sniff with curiosity. And when grandpa jams on his old "Fender", it's almost like Jimi Hendrix whipping out another mind-blowing solo with his tongue...
At one point, the incontinent old man wets his bed. Disgusted, angry and at a loss for what to do, Sarah just takes off all his clothes. Grandfather Werner Koller stands there - completely naked, helpless, vulnerable and fragile, totally dependent on his granddaughter, a miserable sight. He totters there a few minutes (it feels like ages), wet with his own piss and drool, a broken human body, appalling. Why is this scene not for a moment awkward? Director Jochen Fölster and his performers have staged it to be so gripping, moving and authentically emotional. So touching, not a single pubescent soul dares crack a dirty joke. This is a rare jewel of a performance in children's and young people's theatre.
The new, young ensemble member Farida Shehada is also magnificent, playing a vivacious, exuberant and peppy granddaughter, equipped with just the right dash of healthy egoism, sparing us superficial reactions like a fear of contact or fake concern. Even after grandpa and granddaughter have broken the ice, perhaps even learned to like each other a little, she holds her ground: "Grandpa, you have to go to a nursing home." He nods, well knowing she's right. And that there's no need to fear he'll lose Sarah or Martha.
This German premiere does not tell a "great" story, but one that certainly touches a few sore spots. And breaks a few taboos, in children's theatre in any case.
Tristan Berger
 



Zum Stück:
Der Autor nimmt sich eines brisanten, tabuisierten Themas an: Er beschreibt die Begegnung des frechen und lebendigen Teenagers Sarah mit ihrem 60-jährigen Großvater Thomas, der nach einer Gehirnblutung seit einigen Jahren halbseitig gelähmt ist, kaum sprechen kann und von seiner Frau Martha Tag und Nacht aufopferungsvoll versorgt und gepflegt wird. Sarah, die ihren Opa einen Nachmittag lang allein betreuen soll, kommt mit dieser Situation zuerst gar nicht zurecht. Sie ekelt sich vor dem stummen, dicken, sabbernden und unbeweglichen Mann; sie ist wütend auf ihn, weil er ihre Großmutter, zu der sie ein besonders enges Verhältnis hat, so stark an sich bindet und ihre ganze Kraft in Anspruch nimmt. Aber Sarah stellt sich ihrer Aufgabe und der neuen Begegnung mit dem Großvater. Sie fordert ihn heraus, stellt Fragen, provoziert ihn zu reagieren, sich nach seinen Möglichkeiten zu äußern und mit ihr zu kommunizieren. Ihre undiplomatischen Bemühungen und beharrlichen Versuche tragen Früchte: Gemeinsam machen Großvater und Enkelin einen Ausflug in Thomas' Vergangenheit, in seine Jugend in den 60er Jahren, als er als Rockmusiker auf der Bühne stand ...
 



Sarah:






Klar erinnere ich mich, daß er dabeigewesen ist. Wir sind mit dem Auto hingefahren, also muß er ja dabeigewesen sein. Oma hat keinen Führerschein. Aber wenn mich jemand nach meinem Opa fragt, denk ich immer an den hier ... genau so, wie er jetzt dasteht. Groß - fett - krank - und stumm. Du sagst nein was, oder? Nein, du kannst nicht ... Du kannst nichts sagen, oder? Sag doch was! Aber du denkst - Du kannst doch denken? Aber keiner darf wissen, was du denkst. Denkst du überhaupt einmal an sie ...? Nein, das tust du nicht. Du denkst nur an Dich selbst.
Du läßt sie wie eine Sklavin für Dich schuften ... und schon bist du aufgeschmissen. Sie ist weg. Ein einziges Mal geht sie aus - und du stehst da ... fühlst dich einsam ... verlassen ... und heulst ...

 



The author tackles a touchy topic here: lively and cheeky teenager Sarah gets thrown together with her half-paralysed, bed-ridden 60-year old grandfather Thomas. Due to a cerebral haemorrhage several years ago, Thomas has become a full-time nursing case for his wife Martha, who selflessly cares for him day and night. One afternoon Sarah is asked to look after him; reluctantly, she tries to make the most of the situation – but Thomas can hardly speak! What is she supposed to do with this speechless, fat, drooling and motionless man? She is disgusted. And angry that her grandmother, who she loves dearly, pours her entire energy into such a useless lump of flesh.
Nevertheless determined to give him a chance, Sarah begins to drill her grandfather, interrogate him, provoke him to respond, to answer using whatever means he can muster. Admittedly non-diplomatic in her endeavours, eventually her insistence pays off. Together, Sarah and grandfather Thomas take a journey back in time. Into his past. His youth in the Sixties. A rock musician on the stage, cheeky and lively...
 




Werner Koller, Farida Shehada, Ester Daniel
Foto: © Sabine Gudath
 
 
 
 
Medienecho:
 
 
 
Reutlinger Generalanzeiger
 
 
 
Reutlinger General-Anzeiger, Dienstag, 24. April 2001
 
 
 
Schwäbisches Tagblatt
 
 
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