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Kinder- und Jugendtheater auf Reisen

 


Kinder- und Jugendtheater auf Tournee
von Jürgen Kirschner, Frankfurt am Main
 
 
 
 
aus: Startinformation 'Kinder- und Jugendtheater auf Tournee'. Frankfurt am Main 1995
 
 
 
 
Theater auf Reisen
 
Das Theater für Kinder und Jugendliche ist - immer noch - nicht selbstverständlicher Bestandteil der für Deutschland typischen öffentlich subventionierten Stadttheaterkultur. Zwar hat sich mittlerweile insgesamt eine Kombination aus Stadt- und Staatstheatern, den Landesbühnen mit ihrem Abstecherbetrieb sowie der auch mit öffentlichen Geldern unterstützten Freien Szene etabliert. Das Theater für Erwachsene ist zwar "immer in Reichweite" (Preuß 1983), doch das Kinder- und Jugendtheater ist ohne die modernen Formen des Thespiskarrens gar nicht vorstellbar, es ist 'vor Ort' und erreicht damit auch ein Publikum, das mit der herkömmlichen Theaterstruktur weniger leicht einbezogen werden kann.
Wieweit das Kinder- und Jugendtheater sich zu seinem Publikum begibt, macht ein Blick in das Rhein-Main-Gebiet deutlich. In den Städten Darmstadt, Frankfurt, Gießen, Mainz, Offenbach und Wiesbaden sind zwei Drittel der 35 VeranstalterInnen auf gastierende Ensembles angewiesen, die sie für Auftritte in der eigenen Spielstätte oder zur Rundreise in der Region einkaufen. Nur elf kommunale bzw. Privatttheater bieten Kinder- und Jugendtheater mit einem eigenen Ensemble an. In der Region zwischen den Großstädten übernehmen Veranstalter von der Kulturinitiative bis zum Bürgerhaus die kulturelle Versorgung komplett. Wenn Kinder- und Jugendtheater in der Regel nicht im Staatstheater, sondern im Kulturzentrum, dem Haus der Jugend, der Bücherei oder dem Museum stattfindet, müssen sich Theater und Spielort erst einmal finden, bevor die Vorstellung beginnen kann.
In den von den VeranstalterInnen vorgelegten Programmen rangiert das Kinder- und Jugendtheater vom Einzelfall über ein saisonbedingtes Angebot bis hin zu einem regelmäßigen Spielplan. Für ein Viertel der VeranstalterInnen ist das Kinder- und Jugendtheater ein wichtiges Charakteristikum ihres Programmes, für ein Viertel nur ein Randphänomen. Für die Hälfte der VeranstalterInnen aber bildet das Kinder- und Jugendtheater ein kleines, aber regelmäßiges Segment ihres Gesamtangebotes. Aus der bunten Mischung der Kulturangebote im Rhein-Main-Gebiet die Kinder- und Jugendtheaterveranstaltungen herauszufinden, ist nicht leicht. 'Augen auf!', heißt es daher für das Publikum. Eine Karte durch den bunten Dschungel der regionalen Veranstaltungen gibt es im allgemeinen nicht. Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum hat als Service für das Publikum in seiner Umgebung die Veranstaltungen von professionellem Theater für Kinder und Jugendliche im Rhein-Main-Gebiet (Stand: Juni 1995) zusammengestellt; zusammen mit dem Berliner Büro des Zentrums ist eine weitere Ausgabe für Berlin geplant.
Aber nur wer mit Kindern losziehen will, kann überhaupt auf einen Platz in einer entsprechenden Aufführung hoffen. Denn das Kinder- und Jugendtheater erweist sich im allgemeinen als Theater für Kinder. Nur einE VeranstalterIn im Rhein-Main-Gebiet hat ausschließlich Jugendtheater gemeldet, neun VeranstalterInnen zeigen Kinder- und Jugendtheater - und 25 VeranstalterInnen nur Kindertheater. Damit relativiert sich auch die Einschätzung vom Niedergang des Kindertheaters, die ein Blick auf die Auswahl der Einladungen zum 3. Deutschen Kinder- und Jugendtheatertreffen in Berlin 1995, die sich fast nur auf Jugendtheaterproduktionen bezogen haben, nahelegt.
 
 
Freiraum oder Zwickmühle
 
Die Spielplanangebote für Kinder und Jugendliche in einer Region resultieren aus dem Zusammenspiel von verschiedenen Strukturelementen. Die Öffentlichen Hände, das Theaterangebot, das Publikum und die Marktsituation begrenzen bzw. ermöglichen den jeweiligen Spielplan. Das Kinder- und Jugendtheater ist den Öffentlichen Händen zunächst durch die Produktionstätten und Aufführungsorte verbunden. Wenn nicht in privaten Räumen geprobt und auf der Straße gespielt wird, findet Theaterarbeit vielfach in öffentlichen Räumen statt. Da die Privattheater und freien Gruppen einen Großteil der Gastspiele bestreiten, werden sie auch besonders mit Orten konfrontiert, die entweder nicht oder nur 'auch' für das Theater konzipiert worden sind. Zumindest wurden sie kaum für das Kinder- und Jugendtheater gebaut. So kann das für kleine und mittlere Publikumszahlen erarbeitete Kinder- und Jugendtheater die Kapazität der großen Bürgenhäuser nie füllen. Daneben fördern die Öffentlichen Hände das tournierende Kinder- und Jugendtheater finanziell, z. B. durch die Subventionierung einzelner Gastspiele. Im Zeitalter schwindender öffentlicher Mittel stehen aber Theaterräume wie Gagen des Kinder- und Jugendtheaters zur Disposition. Doch auch die Qualität des Kinder- und Jugendtheaters hat ihren Preis. Niedrige Gagen garantieren nur eine minderwertige Aufführung oder beruhen auf Selbstausbeutung der Theater, die wiederum auf die Qualität durchschlägt. Auch die Ermöglichung hoher Gagen durch eine maximale Platzausnutzung großer Häuser verhindert das geplante Theaterereignis, das eine bestimmte Inszenierung mit bestimmten Raumgrößen und Publikumsmengen in Beziehung setzt.
Das Publikum besucht das Kinder- und Jugendtheater selten aus eigenem Antrieb, denn Kinder und Jugendliche verfügen im allgemeinen nicht einmal über eine adäquate Information über das Theaterangebot. Der Theaterbesuch wird meistens durch Eltern oder ErzieherInnen angeregt. Die Theater bzw. VeranstalterInnen wenden sich also nicht an die jungen ZuschauerInnen selbst, sondern an Multiplikatoren bzw. mit der Erziehung beauftragte Eltern, LehrerInnen etc. Die Kindergartenkinder oder SchülerInnen erfahren dann den Theaterbesuch häufig als Erlebnis innerhalb der gewohnten Gruppe, also auch im Kontext der jeweiligen Sozialisationsinstanz. Hinter der Hälfte der Besuche steht aber ein Freizeiterlebnis mit Geschwistern und Verwandten. Die Aufführungen des Kinder- und Jugendtheaters sind in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern angesiedelt. Sie berühren sich mit der Sozialarbeit (Jugendhaus), dem Bildungswesen (Schule), dem Kulturbereich (Bürgerhaus), dem Theater (Mehrspartentheater mit Gastspielbetrieb) und der Kinder- und Jugendarbeit (Kinderkulturzentrum). Über diese situationsbedingte Verbindung hinaus bieten die Theatergruppen vielfach eine theaterpädagogische Betreuung an, die mit unterschiedlichsten Mitteln auf die jeweiligen Gegebenheiten des Publikums vor Ort eingeht. Sie reicht von der Reflexion des Zuschauerverhaltens über Gespräche mit dem Publikum bis hin zu komplexen Mitspielaktionen im Umfeld der Aufführung. Auch das Verhältnis der AnbieterInnen einer Region untereinander beeinflußt das gesamte Angebot. Vom informellen Informationsaustausch reichen die Möglichkeiten bis zur Kooperation im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung bzw. übers Jahr, damit einzelne Theater durch Anschlußtermine überhaupt für ein Gastspiel gewonnen werden können. Da das Kinder- und Jugendtheater erst zwei von fünfzehn Millionen Kindern erreicht, muß eine dichtere Angebotsstruktur die Konkurrenz noch nicht fürchten. Dazu trägt die gemeinsame Organisation von Veranstaltungen auch dazu bei, daß die Öffentlichkeit über eine entsprechende Werbung das Kinder- und Jugendtheater einer Region als Ganzes wahrnehmen kann.
 
 
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