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EREIGNISSE
 

Augenblick mal !
6. Deutsches Kinder- und Jugendtheater-Treffen
vom 5. bis 10. Mai 2001 in Berlin

Kurzberichte und Stellungnahmen aus Berlin - vom 5. bis 10. Mai 2001
 
 


Donnerstag, 10. Mai 2001

 
 

Was ist das? Wie geht das?
Über das Wundern und das Nachgedenke darüber

 
 
 
Als ich heute zur S-Bahn lief - vielmehr schwebte - war es warm um mich. Ein sanfter Wind streifte mein Gesicht und von überall drehten sich Menschen zu mir um, lächelten mich an und sahen mir in die Augen. Es war wie ein Wunder, als fühlten sie den Zauber, der während des 'Standhaften Zinnsoldaten' auf mich und in mir gewirkt hatte.
Überrascht, dass die Bahn so voll war, begann ich mich zu fragen, welchen Wochentag man denn hatte und war viel zu schnell wieder auf das eingestellt, was auch als Realität bezeichnet wird.
Mein Kopf war wieder Mittelpunkt, die Gedanken beherrschend. Sie konstatierten einige winzige Flitterflocken, die das vorangegangene Erlebnis in meinem Herzen hinterlassen hatte und ein flaues Gefühl im Magen.
Sie vergleichen, setzen in Beziehung, schlussfolgern und stoßen an Grenzen. Dieses flaue Flitterflockengefühl und alles, was damit zusammenhängt, können sie nur unzureichend erklären. Dabei war es so etwas Besonderes und wenn man wüsste, wie es funktioniert, dann würde man es doch wiederholen und mit anderen Menschen teilen wollen. Immerhin könnten derartige Erlebnisse eine Antwort auf das vage Sehnen sein, das wohl jeder manchmal empfindet. Außerdem kann der moderne Mensch doch nicht einfach etwas mit sich passieren lassen, das er nicht erklären kann. Wie steht man denn da in der Welt der wissenschaftlichen Aufgeklärtheit, wenn man als Theatermensch von 'Wundern' redet?
So oder ähnlich wird wohl die Motivation für die Gesprächsrunde gewesen sein, der ich ein paar Stunden vor meinem Weg zur S-Bahn beigewohnt hatte.
'Die Sehnsucht nach dem schönen Schein'
Das Motto war provokativ abgeklärt und die einleitenden Gedanken von Silvia Brendenal.
Ihnen folgend, entwickelten meine Gedanken ein Netzwerk aus Gründen, wie und warum so ein Gefühl des Zaubers in Stücken wie 'Der standhafte Zinnsoldat' und 'Die Königin der Farben' möglich ist. Greifbar, nachvollziehbar.. und zweidimensional. 'War das schon alles?' fragten sich wohl viele der Anwesenden und wollten die sehr guten Erklärungen nicht recht akzeptieren. Irgendwie war das Besondere, welches die Inszenierungen im Vertrauen aufgezeigt hatten, wieder ins Vertraute zurückgeholt worden. Satzstrukturen, Fachtermini, Kausalketten, Psychologie und Physik; da hatte die Erwachsenen vertraute Komplexität des Denkens die Kompaktheit der Stücke wieder eingeholt, sie entlarvt.
Nun war man etwas zurückhaltend zu diskutieren, denn die bewusste Wahrnehmung von Komplexität distanziert, zwingt zu konsequentem klaren Denken und kann Angst machen.
Nach den Ausführungen von Karola Marsch über ihre Wahrnehmung der Wunder im Kinder- und Jugendtheater bewies sich, was sie dargestellt hatte: Dass durch Konsequenz, Auslassung und Reduktion Wunder entstehen können. Denn indem sie Felicitas Loewe zustimmt, dass ihre Aussage reduzierbar ist auf: Wunder = Kleinod = kleine Form, beginnt langsam der Zauber der Diskussion in den Köpfen der Anwesenden. Nun haben sie einen Ansatzpunkt oder Ausgangspunkt, der sie unmittelbar an das Thema herangehen und die Hemmungen angesichts der Komplexität vergessen lässt.
Immer mehr sind bereit, Gedanken zu verfertigen, denn auch eine Diskussion ist meiner Meinung nach ein Gruppenerlebnis, das abhängig ist von individuellen Einstellungen, Bemühungen und Erlebnismöglichkeiten. Irgendwo auf dem Weg von 'Sind Kinder die besseren Zuschauer' über die Märchen aus 1001 Nacht bis hin zu David Copperfield und Schattenspieltraditionen breitete sich der Zauber auch im Bauch aus. Ich jedenfalls empfand, dass die Bemühungen der drei Damen am Tisch letztendlich zu einem Wunder geführt hatten. Es hätte auch nicht passieren können, aber die Bemühungen, etwas Unmögliches zu tun, vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass so etwas möglich ist, traf zusammen mit der Bereitschaft des 'Publikums'. Das dabei konsequent vorhandene Mittel Sprache tat sein übriges und so entstand sozusagen aus einem Nichts ein Alles. Das war mein Eindruck und die Gedanken, die ich im Nachhinein aus der Vielfalt heraushebe und damit dieses Mal selber zaubere, im Kampf gegen die Verzweiflung angesichts der Komplexität des Lebens, in dem man sich all zu oft nichtig und zur Gleichgültigkeit getrieben sieht.
Das legte sich mein Kopf zurecht, als ich so in der S-Bahn saß; froh darüber, dass ich trotz der gedanklichen Vorbelastung durch 'die allmähliche VerFESTigung...' das Wunder des 'Zinnsoldaten' erlebt hatte. Dabei war dann ganz unwichtig, ob ich genau herausgefunden hatte, was wie und warum passiert. Wichtig war, dass ich an diesem Tag mehrmals vom Erleben zum Reflektieren und durch das Reflektieren wieder im Erleben gelangt war und letztendlich ein gutes Gefühl und eine Erkenntnis gewonnen habe.
Steffi
zit. nach: 5. augenfüssler. Zeitung zum 6. Kinder- und Jugendtheater-Treffen 2001 in Berlin. Hg. vom Kinder-und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit dem carrousel Theater an der Parkaue.
 
 
 
 

 
 
 
Die Sehnsucht nach dem schönen Schein
Foto: Irina Zikuschka
 
 
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